Liegt da vielleicht eine verborgene Kraft in der Advents- und Weihnachtszeit?

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© Foto: Reformierte Kirche Zürich

Lidija Bänziger
Pfarrrerin
Kirchenkreis zehn

Wenn der goldene Herbst verblasst und die Tage dunkel, nass und kurz werden, liegt Wandel in der Luft – nicht nur in der Natur. Auch wir Menschen verändern uns: Aus offen gestimmten Sommerwesen werden vermummte Gestalten, die sich nach Wärme und Licht sehnen. In dieser Zeit wächst vielleicht eine Hoffnung, dass die Weihnachtszeit eine Kraft in sich trägt – für uns selbst, für die Menschheit, für die Welt.

In den biblischen Erzählungen begegnet uns immer wieder die Kraft der Wandlung: Wasser wird zu Wein, Blindheit zu Sehkraft, das Korn zu Brot, das Kind in der Krippe wird zum Christus. Diese Wandlung ist für mich die Urkraft des Glaubens – eine, die Leben verwandelt und erneuert.

Doch unser modernes Denken hat uns gelehrt, alles zu trennen: Mensch und Natur, Geist und Materie. Wir betrachten die Welt als berechenbar, aber auch als getrennt von uns. Dabei, so erinnert uns der Philosoph Ervin László, ist „unser Getrenntsein eine Täuschung. Wir sind miteinander verbundene Teile eines Ganzen – ein Meer voller Bewegung und Erinnerung.“ Auch Naturwissenschaftler wie Friedrich Cramer oder Ilya Prigogine sprechen von einer geistigen Dimension der Welt, in der alles im Austausch steht.

Wenn wir also keine Grenze mehr ziehen zwischen Leib und Seele, Sichtbarem und Unsichtbarem, erkennen wir: Alles ist miteinander verbunden. Diese Erkenntnis scheint in den Worten Jesu anzuklingen: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

In diesem Bewusstsein liegt die eigentliche Kraft der Advents- und Weihnachtszeit: Sie erinnert uns daran, wie tief wir miteinander verbunden und aufeinander angewiesen sind. Die Advents- und Weihnachtszeit - wie auch die Natur und unser menschliches Dasein - erinnert uns an die tief in der christlichen Tradition verankerte und auf den ersten Blick verborgene Kraft der Wandlung – daran, dass alles miteinander verbunden ist und wahrer Wandel in der Welt wohl nur durch die Wandlung in uns selbst beginnen kann.