Wofür bin ich dankbar?
Christian Gfeller
Pfarrer
Kirchenkreis drei
Für viel zu wenig. Eigentlich bin ich erstaunlich konsequent undankbar. Nicht, dass ich das gut fände – aber mein Blick im Alltag richtet sich meist auf das, was noch fehlt. Beim Erstellen meiner To-do-Liste sehe ich all das, was unerledigt bleibt. In der Erziehung ringe ich mit den Momenten, die nicht gelingen. Meine Ungeduld und unschönen Ausbrüche beschäftigen mich, wenn wir wieder einmal nicht rechtzeitig aus dem Haus kommen. Und beim Thema Fitness gilt mein Interesse den Muskeln, die noch fehlen, und dem Fettanteil, der noch schrumpfen sollte.
In dieser konsequenten Undankbarkeit bin ich immerhin nicht allein. Auch in der Arbeit pflegen wir sie mit Hingabe: Wie können wir die Auslastung steigern, unsere Angebote attraktiver gestalten, Abläufe effizienter organisieren? Diese Perspektive auf das Fehlende scheint allgegenwärtig – privat wie beruflich, sogar in spirituellen Trends. Manifestieren und Visionboards lenken unsere Energie auf das, was noch nicht ist. Selbst an Weihnachten nähren wir den Mangel in uns und unseren Kindern, wenn wir nach Geschenkwünschen fragen. Unbewusst kultivieren wir so die Undankbarkeit – genährt von unserem Fortschritts- und Optimierungsdrang.
Wofür bin ich dankbar?
Für viel zu wenig. Denn Dankbarkeit bedeutet einen Perspektivenwechsel. Sie richtet den Blick auf das, was ist. Sie führt mich aus der Zukunft in die Gegenwart – zeigt, was da ist, vorhanden ist, wirklich ist. Dankbarkeit schenkt Präsenz. Und genau das ist die Botschaft von Weihnachten: Gott ist da. In dem, wie es ist – unvollkommen, unfertig, unideal, aber real. Das wahrzunehmen will gelernt sein – in der Schule der Dankbarkeit.
Wofür bin ich dankbar?
Für diese Frage. Ich möchte sie mir in diesem Advent häufiger stellen – um meinen Blick zu schärfen für das Gegenwärtige, für das, was da ist. Vielleicht begegnet mir darin sogar das Göttliche.